Verantwortung und Verantwortungskultur

02.08.2022

In Zeiten zunehmender Komplexität, Unüberschaubarkeit und Unsicherheit spielt Verantwortung in der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter sowie als Verantwortungskultur auf organisationaler Ebene eine zentrale Rolle. Doch allzu oft wird Verantwortung im Unternehmen ganz einfach vorausgesetzt. 

Die Sinnhaftigkeit von Ausmaß und Richtung von Verantwortung wird daher zu selten bewusst geprüft. Hier setzen Bernd Schmid und Arnold Messmer mit ihrem Artikel "Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur im Unternehmen" an.*

Der Begriff "Verantworten" wird gleichgesetzt mit der Tätigkeit "Antworten geben", was notwendigerweise die Kommunikation, den Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zur Folge hat. Schmid und Messmer unterscheiden "vier Dimensionen eines Verantwortungssystems", das Wollen (Werte) und das Können (Fähigkeiten) auf der personalen Ebene, das Dürfen (Ausstattung) und das Müssen (Zuständigkeit) auf der organisationalen Ebene. Dabei wird die Verantwortung als Gesamtsystem unterschieden in die Verantwortung für eine bestimmte Funktion (Aufgaben, Zuständigkeiten) sowie in die Verantwortung bezogen auf das Zusammenwirken mit anderen (Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten...) in den Wertschöpfungs- und Führungsprozessen. Die Autoren weisen der funktionalen Verantwortung eine arbeitsrechtliche Relevanz zu, die Verantwortung für das gemeinsame Wirken hat für sie eine ethische Relevanz.

In dem Moment, in dem die Verantwortung im Unternehmen nicht wahrgenommen oder verschoben wird, liegt eine "dysfunktionale Symbiose im Verantwortungssystem" vor, was etwa "schädliche" oder "krankmachende Abhängigkeit" bedeutet. Wie kommt es, dass Verantwortung verschoben oder nicht wahrgenommen wird? 

Kurzfristig scheint es für beide Seiten ein "gutes Geschäft", wenn z.B. der Teamleiter "mal eben" noch eine Tätigkeit des Mitarbeiters übernimmt und dessen Aufgabe erledigt. Der Teamleiter weiß, die Aufgabe ist erfüllt und dann auch noch in der von ihm gewünschten Vorgehensweise, Deadline und Qualität. Und der Mitarbeiter ist kurzfristig entlastet. 

Ein Lernen, eine Weiterentwicklung des Mitarbeiters in dessen Tätigkeitsbereich wird dadurch jedoch verhindert. Allgemeiner formuliert entstehen durch das Verschieben oder Nichtwahrnehmen von Verantwortung mittel- und langfristig erhebliche Nachteile: Das persönliche Wohlbefinden und die Gesundheit der Beteiligten werden beeinträchtigt, die Unternehmensprozesse werden gestört.

Zur Vermeidung einer "dysfunktionalen Symbiose" sehen Schmid und Messmer die Etablierung eines "Verantwortungsdialogs" in zweifacher Hinsicht vor. Zum einen empfehlen sie eine "präventive Pflege des Verantwortungssystems" in Form einer zu definierenden Regelkommunikation, zum zweiten geht es ihnen um eine jeweils situative Korrektur von "Verantwortungsstörungen" durch eine "Konfrontation" im Zuge einer proaktiven Kommunikation. 

Wichtig für die Führungskraft ist es, diese "Störungen im Verantwortungssystem" aus der Rollenperspektive als Führungskraft als persönliches Unwohlsein und Unbehagen wahrzunehmen, anzuerkennen und zu analysieren. Erst dadurch können die jeweils Beteiligten lösungsorientierte Gespräche führen mit dem Ziel, die "dysfunktionale Symbiose" im Unternehmen zu beenden.

*Siehe: https://www.isb-w.eu/campus/de/schrift/Auf-dem-Weg-zu-einer-Verantwortungskultur-im-Unternehmen-2004SI0068D